„Super Großeltern“

Ein Wohltätigkeitsprojekt holt Kronstädter Seniorinnen aus dem Haus

Künstlerin Ana Maria Gălețeanu (vorne links) hat immer ein nettes Wort und ein Lächeln für die Teilnehmer an ihrem Malkurs. Foto: die Verfasserin

Es ist kurz vor zehn Uhr vormittags. Draußen ist es kalt, Schnee liegt noch am Boden. In der Kronstädter Philharmonie wird geprobt. Die Trommeln hört man ab und an, doch andere Instrumente erlöschen im Stimmengewirr der rund 30 Rentnerinnen, die sich im kleinen Patria-Saal getroffen haben. Sie sind alle farbenfroh gekleidet, haben sich schick gemacht und sind sichtlich erfreut über das Zusammenkommen. Sie umarmen einander und erzählen die letzten Neuigkeiten: was die Enkelkinder noch geleistet haben, wie das letzte Konzert der Philharmonie war oder über gesunde Speisen. Viele dieser Damen nehmen seit dem Herbst 2023 regelmäßig an künstlerischen Tätigkeiten teil, die extra für sie geschaffen sind.

Vier junge Künstler aus Kronstadt haben sich der Seniorinnen angenommen und bieten ihnen Kurse, bei denen sie nicht nur ihre Kreativität und ihr Gedächtnis trainieren, sondern auch miteinander in Kontakt kommen. Im Rahmen des Projekts „Super Bunici“ (Deutsch: Super Großeltern) tanzen und singen sie gemeinsam, sie malen und zeichnen, lachen viel und bauen neue Freundschaften auf. Sie erfreuen sich an neuen Tönen verschiedener Musikinstrumente, schlüpfen in unterschiedliche Rollen beim Theaterkurs, schreiben Texte und komponieren Lieder. „Und am Ende, wie Sie schon wissen, folgen Umarmungen und Küsschen“, sagt Ana Maria G²le]eanu, Leiterin des Malkurses. Die junge Frau ist Illustratorin, hält Kurse für Kinder und Erwachsene und hat sich vor einem Jahr dem Projekt angeschlossen.

Für die eigenen Eltern und Großeltern

Musikerin Simona Piron hat das Projekt ins Leben gerufen, um ihren Eltern und Bekannten, die im Ruhestand sind, Alternativen zum monotonen Alltag zu bieten und sie zugleich auch intellektuell und emotional zu stimulieren, sodass ihr Selbstwertgefühl und ihre Lebensfreude aufgebessert werden. Nach ihrem jahrelangen Aufenthalt in Skandinavien, wo Senioren durch verschiedene Programme in die Gesellschaft eingeschlossen werden, wünschte sie sich dasselbe für ihre Liebsten hierzulande. Doch in Rumänien gibt es nicht so ein reiches Angebot an Aktivitäten. Nur wenig Programme unterstützen auch die emotionale Seite dieser Personen. Rentner sind eher ausgeschlossen aus der Gesellschaft und verbringen ihre Tage oft vor dem Fernseher. Ohne ein Gefühl der Verantwortung und des gesellschaftlichen Einflusses, mit immer weniger sozialen Kontakten und mit zunehmenden gesundheitlichen Problemen und finanziellen Schwierigkeiten kapseln sie sich immer mehr ab. Einsamkeit wird zum Alltag. Die Sehnsucht nach Gemeinschaft bleibt aller-dings bestehen. 
In diesem Kontext bleibt wenig Raum, um an das eigene seelische Wohlbefinden zu denken. „Ich sehe so viele alte Menschen im Bus, die traurige Gesichter haben. Sie jammern nur über Krankheiten und Probleme. Dabei gibt es doch so viele Möglichkeiten“, sagt Maria Cîndrea. Die Siebzigjährige ist äußerst aktiv und nimmt an fast allen Veranstaltungen für ältere Personen teil, die in der Stadt organisiert werden. In Kronstadt bietet die Behörde für Sozialassistenz wöchentliche Treffen, wo getanzt, geredet und gebastelt wird. Manchmal werden Ausflüge organisiert. Mit Seniorinnen und Senioren, die regelmäßig an Aktivitäten des Vereins „Transilvania“ im Astra-Viertel teilnehmen, geht sie ins Restaurant oder ins Museum. Und einmal im Monat freut sie sich über den Sitzkreis in der Kreisbibliothek, wobei ihre Mittwoche der Freiwilligenarbeit bei „Hospice Casa Speran]ei“ gewidmet sind.

Frau Maria ist aber eine Ausnahme. Sie gestaltet ihr Programm so, dass sie täglich etwas zu tun hat und andere Leute trifft. Sie braucht das. „In Rumänien werden wir regelrecht bemuttert und man macht Sachen an unserer Stelle, als könnten wir nichts mehr tun. Das tut uns nicht gut. Wir schaffen weiterhin vieles alleine und haben noch so viel zu bieten!“, unterstreicht sie. Ihre Energie und ihren Enthusiasmus teilt sie auch mit den anderen Supergroßeltern. Sie liest in der Runde eigene Gedichte vor, sagt ihre Meinung laut und deutlich vor allen, gibt Empfehlungen und lacht herzhaft mit den Kolleginnen. Seit dem ersten Kurs ist Frau Maria dabei und verpasst keinen einzigen, weder Malen und Zeichnen, noch Theater, Sitzkreis oder Musik und Bewegung. 

Ein Gewinn für alle

„Die Seniorinnen lernen bei unseren Kursen Verschiedenes, aber auch wir lernen von ihnen”, unterstreicht Psychopädagoge Andrei Dumitrescu, Teil des Teams, der einen zeitgenössischen Sitzkreis veranstaltet. Es sei ein Geben und Nehmen, eine Annäherung der Generationen und somit ein Gewinn für die ganze Gemeinschaft. „Wir haben so viel Erfahrung, die wir teilen können und wollen. Es ist gut, dass die jungen Leute unsere Meinung erfragen“, sagt Frau Maria.

Die gute Stimmung bei den Workshops ist auch für die Veranstalter ein Geschenk und eine Freude, so Simona Piron. Fast ein dreiviertel Jahr hat sie mit ihren Kollegen im Rahmen von „Bra{ov Heroes“ (Deusch: Kronstädter Helden) der Gemeinnützigen Stiftung Kronstadt Geld für ihr Seelenprojekt gesammelt. Hunderte Leute und einige Unternehmen haben dafür gespendet. So können diese Kurse, die rund anderthalb Stunden dauern, über ein halbes Jahr kostenlos angeboten werden. Die Finanzierung durch die Gemeinschaft reicht nur noch bis März. Sowohl die Veranstalter, wie auch die Empfänger wünschen sich weiterzumachen. Finanzierung wird gesucht. „Ein Programm wie dieses ist sehr notwendig und müsste eigentlich eine Normalität sein, bzw. aus öffentlichen Geldern beglichen werden“, meint die Musikerin. Sie freut sich, dass ihr Projekt andere kleine Unternehmer inspiriert hat, ebenfalls Angebote für Leute über 60 zu gestalten. Sie nennt einen Tanzkurs und einen für Gymnastik, die sich in den letzten Monaten entwickelt haben. 

Senioren sollen aktiv werden

Derartige Initiativen, Senioren eine hochwertige Zeit zu schenken und sich um ihr Wohlbefinden zu kümmern, sind extrem selten. Kinder und Enkelkinder können ein Anker sein. Es gibt jedoch kleine Kreise, in denen sich ältere Personen selbst organisieren. Wie beispielsweise die Damen vom Handarbeitskreis des Demokratischen Forums der Deutschen in Kronstadt oder der Bartholomäer Gemeinde, die sich regelmäßig zum Sticken, Stricken, Basteln und Plaudern treffen. Selbst organisierte regelmäßige Treffen und Aktivitäten wünschen sich die Künstler vom Projekt für Großeltern auch für die Begünstigten ihrer Programme. „Manche lieben Lesen. Wir überlegen, sie zu unterstützen, einen Leseklub zu gründen“, sagt Piron. Die Nachfrage für ihre Workshops ist groß, es bildet sich eine immer größere Gemeinschaft. Ein Teil dieser Leute könnte sich auch außerhalb von „Super Bunici“ treffen und eine schöne Zeit miteinander verbringen, meint sie. 

Überhaupt steht es auch landesweit nicht rosig um die ältere Generation. NGOs und private Initiativen ergänzen das karge Angebot des Staates, genug sind sie allerdings lange nicht. Eine der NGOs, die seit über drei Jahrzehnten der Einsamkeit und sozialen Isolation der alten Leute vorbeugt und konkrete Angebote hat, damit diese auch in hohem Alter ein aktives Leben führen und ihre Würde erhalten, ist die Königliche Stiftung „Margareta a României”. Sie führt mehrere Projekte in verschiedenen Städten Rumäniens durch, eines davon impliziert Senioren, Hausaufgaben mit benachteiligten Kindern zu machen. Desweiteren hilft eine Hotline für Senioren (Telefonul Vârstnicului, 0800.460.001) Alte aus dem ganzen Land.